Als Einsatzleiter einer Reinigungsfirma war ich täglich für die komplexe Koordination und die akribische Überwachung der Reinigungsarbeiten in diversen Objekten zuständig. In jedem der von uns betreuten Häuser gab es eine feste Ansprechperson, ein wichtiges Bindeglied zu unseren Kunden. Im vierten Wiener Bezirk war dies eine Dame, die mir besonders in Erinnerung geblieben ist: eine pensionierte Lehrerin, die sich schnell als äußerst anspruchsvoll entpuppte.
Ihre bevorzugte Methode, unsere Arbeit zu überprüfen, war legendär in unserem Team: Sie brachte mich schlicht zur Weißglut mit ihrem weißen Tuch, das sie wie ein Zepter schwang, um uns dem gemeinen Volk die Gunst zu erweisen, wischte sie damit über das gerade erst gereinigte Treppengeländer und beklagte sich dann mit Inbrunst über den kleinsten Schmutzpartikel. Diese Inspektionen führten unweigerlich zu regelmäßigen Beschwerden bei meinem Chef über mein Team und mich. Das hatte zur Folge, dass ich uns immer verteidigen musste.
Obwohl die Dame hausintern bereits als „schwieriger Fall“ bekannt war. Der Druck war immens. Die Situation schien festgefahren.
Doch eines Tages, nach unzähligen Beschwerden und Rechtfertigungen, kam mir plötzlich eine rettende Idee. Ein Blick aufs Namensschild an ihrer Tür genügte: Mathilde. Ich durchforstete einen alten Kalender nach ihrem Namenstag – und wurde tatsächlich fündig! Dieser Tag wurde zu unserem Wendepunkt. Ich kaufte einen kleinen Strauß Vergissmeinnicht. Fuhr zu ihr und überreichte die Blumen mit einem freundlichen Lächeln. Und fast schüchtern fragte sie, für mich? In diesem Moment geschah etwas Bemerkenswertes: Ihre sonst so versteinerte Miene wich einem kleinen Lächeln.
Spontan lud sie mich auf Kaffee und Kuchen ein, und während wir plauderten, hatte ich das Gefühl, dass das Eis zwischen uns brach, Stück für Stück. Sie schien sogar ein wenig Reue für ihre früheren, oft unbegründeten Beschwerden zu empfinden. Die angespannte Atmosphäre löste sich in Luft auf, und unsere Beziehung erhielt eine völlig neue, menschliche Qualität.
Einige Zeit später, als die Beschwerdeanrufe aus dem vierten Bezirk auf wundersame Weise ausblieben, fragte mich mein Chef leicht verwundert: „Herr Seiler, lebt die alte Lehrerin noch?“ – „Ja, Chef, sie erfreut sich bester Gesundheit“, antwortete ich schmunzelnd. – „Ich habe schon lange nichts mehr von ihr gehört. Was haben Sie mit ihr denn gemacht?“ Mit einem vielsagenden Lächeln, das die ganze Geschichte erzählte, erwiderte ich nur: „Vergissmeinnicht.“
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